Europa – sozial und demokratisch

Veröffentlicht am 02.05.2017 in Europa

Über Europa wird viel gesprochen. Derzeit besonders intensiv. Großbritannien will die EU verlassen. Was mit Frankreich wird, das wissen wir noch nicht. Es sind viele kritische Stimmen, die an Europa nagen. Aber Achtung: da fängt es schon an, denn die meiste Unzufriedenheit geht nicht an die Adresse Europas, sie gehört in den Briefkasten der EU – was ein nicht ganz unwichtiger Unterschied ist, der von manchen wahrscheinlich nicht ohne Grund übertüncht wird.

(von Hermann Zoller)

 

Da wird viel durcheinandergewirbelt, vieles übersehen, verdeckt, nicht in die notwendigen Zusammenhänge eingebettet. Der Hinweis, dass es gelungen sei, über Jahrzehnte Frieden zu sichern, ist berechtigt, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Soziale Probleme werden mehr randständig behandelt und kaum mit der EU in Zusammenhang gebracht. Insgesamt hat „Europa“ ein angekratztes Image.

Aber jetzt regt sich eine Gegenbewegung. „Pulse of Europe“ will wieder gute Stimmung verbreiten. Sich für Europa, auch für die EU einzusetzen ist natürlich löblich. Aber Schönwetter-Stimmung reicht nicht. Wer will, dass sich das Projekt EU für seine Bürgerinnen und Bürger – und auch für die Menschen jenseits der EU-Grenzen positiv entwickelt, der muss sich den inneren Zustand der Gemeinschaft schon mal genauer ansehen und die Schwachstellen aufdecken. Das hat nichts mit Miesmachen zu tun, das stärkt das Projekt.

Als Begründung für die Aktionen von „Pulse of Europe“ schreiben die Initiatoren:

„Wir sind überzeugt, dass die Mehrzahl der Menschen an die Grundidee der Europäischen Union und ihre Reformierbarkeit und Weiterentwicklung glaubt und sie nicht nationalistischen Tendenzen opfern möchte. Es geht um nichts Geringeres als die Bewahrung eines Bündnisses zur Sicherung des Friedens und zur Gewährleistung von individueller Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit.

Leider sind aber in der Öffentlichkeit vor allem die destruktiven und zerstörerischen Stimmen zu hören!

Deshalb: Lasst uns lauter und sichtbarer werden! Wir alle müssen jetzt positive Energie aussenden, die den aktuellen Tendenzen entgegenwirkt. Der europäische Pulsschlag soll allenthalben wieder spürbar werden!

Jede und jeder ist für das Scheitern oder das Gelingen unserer Zukunft verantwortlich, niemand kann sich herausreden. Zu hoffen, alles werde schon gutgehen, ist zu wenig und brandgefährlich.“

Kritik mit „destruktiven und zerstörerischen Stimmen“ gleichzusetzen ist zumindest voreilig. Was soll der Appell, jetzt wieder „positive Energie“ auszusenden. Klar: der „europäische Pulsschlag“ soll wieder spürbar werden. Haben Kritiker keinen Pulsschlag? Vielleicht schlägt der ihrige noch heftiger für Europa und nicht nur für die EU!

Wer Europa und der EU etwas Gutes tun möchte, der muss hinschauen, was hier passiert, welche Politik zu wessen Nutzen betrieben, der muss Position beziehen, der muss es aushalten, dass ihm kritisch in die Parade gefahren wird, der muss erkennen, dass es Interessengegensätze gibt, die ausgefochten werden müssen und nicht mit Stimmung übertüncht werden dürfen. „Zu hoffen, alles werde schon gutgehen, ist zu wenig und brandgefährlich“ – das stimmt.

Pulse of Europe muss sich schon die Mühen der Ebene machen, wenn man will, dass es„ein vereintes, demokratisches Europa gibt – ein Europa, in dem die Achtung der Menschwürde, die Rechtsstaatlichkeit, freiheitliches Denken und Handeln, Toleranz und Respekt selbstverständliche Grundlage des Gemeinwesens sind!“

Wenn „Pulse of Europe“ hier einsteigen, hier mitarbeiten will, dann erfordert das, mal genau hinzuschauen, Probleme zu benennen und auch möglichst Vorschläge einzubringen. Doch damit wird es gefährlich: man muss Position beziehen, Flagge zeigen, Gegenwind aushalten. Und eigentlich gibt es viel zu tun für uns EU-Bürger. Über unseren Zaun geblickt sehen wir die Frage: Wieso setzen wir EU mit Europa gleich? Warum denken wir nicht wirklich in einer europäischen Dimension? Verschließen wir da nicht die Augen vor möglicherweise nicht ungefährlichen Entwicklungen? Warum werden die inneren EU-Probleme, hauptsächlich die sozialen Verwerfungen, ignoriert oder gar mit unsozialer Politik noch verschärft? Was treibt die EU eigentlich für eine Außenpolitik? Und das sind noch nicht alle Fragen. 

Damit das nicht so theoretisch stehen bleibt, ein paar Hinweise zur Auffrischung unseres Gedächtnisses: Wie wurde die „Finanzkrise“ gelöst? Auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger. Was wurde mit dem Fetisch Staatsverschuldung angerichtet? Millionen Menschen verloren ihren Arbeitsplatz; die Löhne kamen unter Druck; in den südeuropäischen Staaten stieg die Selbstmordrate. Hunderttausende junge Menschen fanden und finden keinen Ausbildungsplatz, Studienabgänger arbeiten als Aushilfe beim Tellerwaschen. Die Gesundheitssysteme wurden zwangsweise krankgespart – Millionen Menschen leiden darunter. Zwangsverkäufe von staatlichen Sahnestückchen an Milliardäre machen die Staaten noch ärmer. Wo steht die EU bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, von unseriösen Finanzspekulationen? Was geschieht in den Mitgliedsstaaten gegen den sich vergrößernden Unterschied zwischen Arm und Reich? Das ist zunächst mal Stoff genug.

Greifen wir ins alltägliche Leben. Einem Bericht der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 1. Mai 2017 ist zu entnehmen: In Süditalien ist jeder zweite Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren arbeitslos, jeder dritte langzeitarbeitslos. Im Norden hat jeder vierte keinen Arbeitsplatz. Nachdenklich machende Zahlen, wenn man bedenkt, dass schon viele Jugendliche ihre Heimat verlassen haben, ihr Glück irgendwo in der Welt suchen.

Die „NZZ“-Reporterin berichtet aus Benevento, rund 60 Kilometer von Neapel. Dort hat ein Arbeitsvermittlungsbüro geöffnet. Gesucht werden Krankenpfleger für Hamburg; für 2.400 Euro brutto. Viele Interessenten sind angereist, sogar aus dem Norden. Wer eine Stelle annehmen will, muss sich zunächst zu einem Deutschkurs verpflichten. Dieser ist kostenlos. Aber der Ort der Schule liegt weit entfernt in der Region Marken. Deshalb braucht der künftige Krankenpfleger zumindest ein Zimmer; aber wie soll man das finanzieren, wenn man arbeitslos ist?

Elf Stellen hat heute ein Krankenhaus in Hamburg anzubieten. 49 Bewerber tragen sich in die Liste für ein Vorstellungsgespräch ein. Keiner übt einen Beruf aus, den sie studiert haben. Die meisten halten sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser: auf Anruf servieren in einer Bar, aushelfen im Supermarkt, Oliven pflücken beim Bauern. Sie wohnen meist noch bei den Eltern; an die Gründung einer Familie ist nicht zu denken. Deshalb ist es keine Überraschung, wenn eine Studie aufzeigt: junge Italiener und Italienerinnen werden immer später finanziell unabhängig; die Prognose für 2020 liegt bei 38 Jahren.

Organisiert werden die Stellenvermittlungen von Eures, einem Projekt der EU. An einer Pinwand hängen weitere Ausschreibungen: Köche in Malmö, Pizzaioli in Bremen. Ein Fernsehreporter kommentiert: „Es ist skandalös, EU-Gelder werden in Italien ausgegeben, um die Leute wegzuschicken.“ Die Privatwirtschaft bietet kaum Arbeitsplätze, obwohl die Region großes touristisches Potential hat, aber keine Entwicklungsgelder. Allein 2015 sind 100.000 Menschen ausgewandert. Eine der Bewerberinnen um die Krankenpflegestelle in Hamburg: „Von uns will niemand weggehen, aber das ist ein Kompromiss, den wir für eine sichere Arbeit eingehen müssen.“ Und ergänzt: Wenn der Staat Stellen besetzt, meldeten sich manchmal 30.000 Bewerber für 40 Arbeitsplätze; die Bewerbungstests fänden dann in Turnhallen statt.

So weit ein paar Eindrücke aus der „NZZ“. – Ist das das Europa, das wir uns vorstellen? Ja, unser Puls, unser Herz soll für Europa schlagen, als ersten Schritt auch für die EU – aber für eine soziale EU, nur eine solche kann auch wirklich demokratisch sein – und zu einem Vorbild werden für Europa.

 

Hermann Zoller

 
 

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