75 Jahre nach Kriegsende: Niederlage und Besatzung oder Befreiung?

Veröffentlicht am 22.04.2020 in Historisches

 

Auch in Schwaikheim stellt sich aktuell diese Frage.  Heinrich Böll und Hermann Zoller geben uns dazu eine Antwort.

 

Wir stehen vor einem Jubiläum, das wir mit großer Anteilnahme, besonders mit großer Nachdenklichkeit begehen sollten. Vor 75 Jahren kapitulierte das „tausendjährige“ Nazi-Reich. Als am 8. Mai die Waffen endgültig schwiegen, waren über 60 Millionen Menschen tot. Dieses schreckliche Verbrechen darf nie vergessen werden. So etwas darf sich nie wiederholen. Deshalb müssen wir daraus Lehren ziehen, erkunden wie es dazu kommen konnte. Wir dürfen nicht der Meinung verfallen, wir seien immun dagegen. Und haben die heute Lebenden genug daraus gelernt?

 

Der Großteil der heute in Deutschland Lebenden haben keine persönlichen Erinnerungen mehr an das „Dritte Reich“. Letztlich ist das Grausame jener Zeit auch kaum vorstellbar. Gerade deshalb ist es so wichtig, die Ursachen des Nationalsozialismus als Messlatte für unser heutiges Zusammenleben, für die Gestaltung unseres Landes, für die Beziehungen zu anderen Ländern im Blick zu behalten.

Diese Erinnerungsarbeit ist ein wichtiger Beitrag zur Festigung der Demokratie, in der wir heute leben. Wir dürfen nicht darüber hinwegsehen, dass immer noch und auch wieder neu Meinungen unterwegs sind – tritt man ihnen nicht entgegen – sich bündeln können zu neuen grausamen Zuständen.

 

Es ist gewiss keine leichte Aufgabe, heute die richtigen Worte zu finden, mit denen sich die Erfahrungen der Nazi-Verbrechen an jüngere Generationen vermitteln lassen – um so wichtiger ist es, sich dieser Aufgabe anzunehmen. Zu beachten ist hierbei, dass es eine „neutrale“ Darstellung der Ereignisse nicht gibt. Dieser Versuch endet meist in einer falschen Beschreibung, die im schlimmsten Fall die Dinge auf den Kopf stellt. Deshalb habe ich mich geärgert über den Text auf der Facebook-Seite „Mein Schwaikheim“:

 

„Heute ist ein Tag der Mahnung und Erinnerung. Denn vor 75 Jahren, am 21. April 1945, ist der Zweite Weltkrieg mit der Besatzung durch die Amerikaner für Schwaikheim zu Ende gegangen. Eine weiße Flagge auf der Mauritiuskirche kündete davon. Damit war zwar der Krieg beendet, nicht jedoch das Leid vieler Schwaikheimer, die sich die bange Frage stellen mussten, wie es nun weitergehen soll. Waren die lieben Angehörigen in Gefangenschaft geraten? Waren sie gefallen? Gedenken wir der Opfer und rufen uns ins Bewusstsein, dass der nun schon 75 Jahre währende Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Im Gegenteil: Wir leben in einer Zeit, in der er wieder brüchig zu werden droht.“

 

Dieser historische Hinweis ist sinnvoll, er kommt harmlos daher; er ist auch nicht völlig falsch. Da ich aber als Kind die „Besatzung durch die Amerikaner“ zwar nicht in Schwaikheim aber in Mainz erlebt habe, stört mich diese Benennung des Ereignisses schrecklich. Wir wurden nicht „besetzt“. Wir wurden befreit – befreit von jenen verbissenen Nazis, die noch in den letzten Stunden Kinder mit Panzerfäusten den amerikanischen Tanks entgegenschickten und kritische Bürger an die Wand stellten. Mir ist auch noch jene Frau in Erinnerung, die mit Stolz und erhobenem Haupt jedem verkündete, ihr Mann sei fürs Vaterland gefallen. – Was hat die Köpfe vieler Menschen so verwirrt?

 

Richtig: „Damit war zwar der Krieg beendet, nicht jedoch das Leid vieler Schwaikheimer, die sich die bange Frage stellen mussten, wie es nun weitergehen soll. Waren die lieben Angehörigen in Gefangenschaft geraten? Waren sie gefallen?“ – Erschossen, erschlagen, verbrannt, vernichtet waren auch viele andere: Franzosen, Amerikaner, Russen, Italiener, Polen, Juden, Zeugen Jehovas, Schwule, Widerstandskämpfer......Auch in Irkutsk warteten Mütter auf ihre Söhne, in Palermo Frauen auf ihre Männer…

 

Richtig: Gedenken wir der Opfer und rufen uns ins Bewusstsein, dass der nun schon 75 Jahre währende Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Im Gegenteil: Wir leben in einer Zeit, in der er wieder brüchig zu werden droht.“ – Genau deshalb müssen wir aufpassen, die Dinge richtig benennen. Verwirrt sind, verwirrt werden auch heute noch Köpfe. Halbwahrheiten verzerren den Rückblick und führen zu falschen Konsequenzen in der Gegenwart und für die Zukunft. Fremdenfeindlichkeit begegnet uns täglich, Weltverschwörungstheorien verstellen uns den Blick – das ist der Boden, auf dem wieder Unheil wachsen kann.

 

Kluge Köpfe haben uns einiges mit auf den Weg gegeben. Ich möchte uns einen davon in Erinnerung rufen:

 

Heinrich Böll:

Von der „Stunde Nichts“ an unterschied Heinrich Böll seine Landsleute in zwei Kategorien. Eindringlich hat er das seinen Söhnen in seinem Brief von 1984 noch einmal vor Augen gehalten: „Ihr werdet die Deutschen immer wieder daran erkennen können, ob sie den 8. Mai als Tag der Niederlage oder der Befreiung bezeichnen.“  Und viel zu viele waren es für Heinrich Böll, die nicht die Befreiung wahrnahmen, die Niederlage immer noch verdrängten und einfach von „verlorenen Siegen“ sprachen.

 

Erinnerungsarbeit ist notwendig – richtig verstanden stärkt sie unsere Demokratie. Es ist keine leichte Aufgabe, aber sie ist notwendig. Bringen wir das nicht hin, dann werden die Folgen schwerer zu ertragen sein, als die Mühen für ein paar passende Zeilen.

 

Hermann Zoller

 
 

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